Gedenkveranstaltung des Landtagspräsidenten zur Befreiung des Stalag326 vor 75 Jahren

In einer Gedenkveranstaltung des Landtagspräsidenten haben Ministerpräsident Armin Laschet und ich mit rund 100 Ehrengästen an die Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Stalag326 in Schloß Holte-Stukenbrock vor 75 Jahren erinnert. Mehr als 300.000 überwiegend sowjetische Kriegsgefangene sind in der Senne in einem der größten Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des Deutschen Reichs unter schrecklichen Bedingungen festgehalten und zur Zwangsarbeit in ganz Nordrhein-Westfalen eingesetzt worden. Bis zu 65.000 Menschen fanden dort den Tod und wurden in dem nahegelegenen Soldatenfriedhof in Massengräbern verscharrt.

Daher habe ich dort ausgeführt: „Mit dem Erinnern an die Geschichte dieses Ortes wollen wir ein deutliches Zeichen für die Zukunft der hier geleisteten Gedenkarbeit setzen. Hier, auf dem Sandboden der Senne, endeten Lebenswege in Erniedrigung, Hunger, Schmerz und Tod. Was Menschen hier ertragen und erfahren mussten, bleibt für immer ein fester Bestandteil der deutschen und europäischen Geschichte.

Die nationalsozialistischen Schandtaten an Menschen und ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit machen mich in ihrer unvergleichbaren Dimension sprachlos“, so habe ich in meiner Gedenkrede gesagt. „Doch umso mehr dürfen wir als Demokratinnen und Demokraten unsere Sprache, unsere Haltung, niemals verlieren. Wir müssen an das Geschehene, und sei es noch so unerträglich, erinnern. Wir müssen mahnen. Und wir müssen, wann immer notwendig, unser Wort gegen menschenfeindliche Ideologie erheben und uns dagegen aufstellen.“

Ein tiefer und dunkler Schatten liege über diesem Ort, äußerte sich Ministerpräsident Armin Laschet mit Bezug auf die Äußerung von Bundespräsident Joachim Gauck zum „Erinnerungsschatten“ anlässlich seines Besuchs in der Dokumentationsstätte im Jahre 2015: „Auch 75 Jahre nach dem Ende des Krieges sind wir aufgerufen, die Erinnerung daran wachzuhalten und in den Schatten hineinzuleuchten.

Wir sind es den Opfern aus der damaligen Sowjetunion schuldig, die in Folge mangelhafter Ernährung, Versorgung und Unterbringung sowie der ausbeuterischen Arbeitseinsätze ums Leben kamen, ihren Angehörigen und allen, die die Gräuel überlebt haben. Wir sind es aber auch uns selbst schuldig, damit wir uns bewusst bleiben, wohin Fanatismus, Verblendung und Hass führen können. In diesem Sinne weist der Erinnerungsort ‚Stalag 326‘ auch in die Zukunft. Die Geschichte des Ortes ist zudem ein Auftrag, mit Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Gespräch zu bleiben und den Weg von Aussöhnung und Verständigung, auch in schwierigen Zeiten, weiterzugehen.“

Die Schrecken des Kriegsgefangenenlagers bekamen ein Gesicht durch Stepan Stepanovich Lazarew, der am 15. März 1943 gefangenen genommen wurde und in das Stalag326 gebracht wurde. Seine Urenkelin Marina Mehlis berichtete in einem bewegenden Beitrag, dass er im Bergbau arbeiten musste und letztlich aus unbekanntem Grund verstarb. Den vollständigen Beitrag ist an dieser Stelle nachzulesen.

Ein besonderer Gast war für mich die 97-jährige Margret Botschen-Thombansen. Sie war von 1940 bis 1944 als Krankenwagen-Fahrerin beim Roten Kreuz dienstverpflichtet. Zeit ihres Lebens hat sie sich gefragt „Wo kommt das Böse in den Menschen wohl her?“

Sehr berührend waren auch die Erinnerungen von Überlebenden in Form von Briefen, die von Schülerinnen des Gymnasiums Schloß Holte-Stukenbrock vorgetragen wurden. In den Briefen sind die Zustände in dem wohl größten sowjetischen Kriegsgefangenenlager auf Gebiet des Deutschen Reichs in erschütternder Weise beschrieben. Lange Zeit gerieten die Geschehnisse aber in Vergessenheit.

„Dass in den vergangenen Jahren immer mehr Licht auf diesen Schatten gefallen ist, ist einer Vielzahl von engagierten Menschen und Institutionen, wie zum Beispiel dem Förderverein der Gedenkstätte, aus dem gesamten Land und der Welt zu verdanken“, so habe ich verdeutlicht.

Hierzu gehört insbesondere der 1993 gegründete Förderverein der Dokumentationsstätte unter der Leitung des Vorsitzenden Manfred Büngener und des Geschäftsführers Oliver Nickel.

Und seit drei Jahren gehört hierzu der von mir gegründete und geleitete überparteiliche Lenkungs- und Steuerungskreis mit Vertretern des Fördervereins, der Stadt SHS, des Kreises Gütersloh, der Bezirksregierung, des LWL Landschaftsverbandes, des Landtags, der Landesregierung, der Landeszentrale für politische Bildung, des Bundestag und des Europaparlamentes.

Mit der geplanten Gedenkstätte wollen wir weit über die Zeitspanne 1941-1945 hinausgehen. Es geht auch um die Einbeziehung der Folgenutzung des Geländes als Internierungslager der britischen Besatzungsmacht (1946-1947) und danach als Einrichtung zur Erstaufnahme von (Heimat-)Vertriebenen und Flüchtlingen des im Auftrag des Sozialministeriums von den Wohlfahrtsverbänden betriebenen „Sozialwerk Stukenbrock“ in den Jahren 1948 bis 1970.

Geschichte ist hier wortwörtlich aufgeschichtet und soll in der zukünftigen Gedenkstätte mittels digitaler Technik auf Smartphones, Tabletts usw. auch in den Zeitschichten vor, während und nach dem Besuch erlebbar werden.

Als Präsident des Landtags habe ich vor dem Hintergrund des Jahrestags des Anschlags auf die Synagoge in Halle und wenige Tage nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge die Wichtigkeit betont, die Dokumentationsstätte Stalag326 zu einer Gedenkstätte von besonderer Bedeutung fortzuentwickeln. „Mit diesem Ort, mit diesem Boden, ist ein klarer Auftrag an uns alle verbunden. Der Auftrag lautet, die Erinnerung an die Opfer in NS-Kriegsgefangenschaft und an das Ihnen zugefügte Leid für die Zukunft zu bewahren, die Verbrechen der Nationalsozialisten weiterhin aufzuarbeiten und klar zu benennen und damit nicht zuletzt an die heutige und an die nach uns folgenden Generationen einen unüberhörbaren Appell der Humanität zu richten.“